Als wir entschieden haben, dass wir am Polnisch/Deutschen Schüleraustausch teilnehmen wollen, hatten wir keine Ahnung was eine krassere Erfahrung wir erleben werden.

Als wir in Warschau ankamen, wurden wir in der Aula empfangen und uns wurde das Projekt vorgestellt. Zweiter Weltkrieg. Nazis. Ach du Scheiße. Schon wieder?! Aber dann sahen wir die Filme von den Arolsen Archives: Wir sollten Familienangehörige finden von Menschen, die in Konzentrationslagern inhaftiert wurden und von denen noch Gegenstände existieren, die von den Arolsen Archives verwahrt werden. Das Ziel: Diese Gegenstände zurückgeben. Eine krasse Verantwortung. Als Deutsche. In Polen. Wir haben 3 Tage recherchiert. Auf der Website von den Arolsen Archives. Es gab ziemlich viele Informationen über die Menschen, die Opfer der Nazis wurden. So viele Gegenstände, die es heute noch gibt. Von Menschen, die als anders oder kriminell betrachtet wurden.

 Gerade kommt uns das ganz aktuell vor. Wenn wir heute Nachrichten gucken, merken wir, dass das, was wir die ganze Zeit im Unterricht gelernt haben und was uns so weit weg vorkam, genau heute wieder auf uns zukommt: Meinungen werden abgewertet, friedlicher Protest wird erschwert, Menschen als minderwertig oder als nicht dazugehörend betrachtet, manchmal fühlt man sich als „Mensch mit Migrationshintergrund“ viel weniger dazugehörig als noch vor wenigen Jahren. Wir sehen online so viele Kommentare, so viel Hass und Rassismus. Haben wir es den Nazis wirklich so bequem gemacht? Leute sagen und schreiben Dinge, die vor wenigen Jahren noch unsagbar waren. Also ist das Projekt irgendwie doch aktuell, plötzlich fühlt es sich gar nicht mehr so an, als wäre es ganz weit weg. Die Frage: wie konnten die Leute damals nur darauf reinfallen? Scheint wohl beantwortet zu sein.

Wir springen mal ans Ende des Projekts. Wir haben nur ein paar neue Informationen gefunden, leider keine Angehörigen. Aber wir haben irgendwie was verstanden. Nämlich wie wir mit diesem deutschen Erbe umgehen wollen oder müssen. Wir sind dabei, das zu realisieren, was da passiert ist und als Deutsche Verantwortung dafür zu übernehmen. Und es ist die Ironie unserer Austauschgeschichte, dass, während wir uns noch mit den Konsequenzen dessen, was die NSDAP Menschen angetan hat, beschäftigen, die AFD uns mit ihren aktuellen Plänen überrollt.

Genau das Gegenteil passierte, als wir Deutschen nämlich in Warschau waren. Wir bekamen mit wie die polnische rechtsextreme Partei abgewählt wurde und die Erleichterung der polnischen Gesellschaft war nicht zu übersehen.

Dass wir uns gerade jetzt, in dieser für uns ganz persönlich schwierigen Zeit, mit unseren polnischen Austauschpartnern wiedertreffen, fühlt sich gut an: Wir lassen uns nicht spalten, wir lassen uns nicht in Schubladen stecken. Wir sind Menschen. Punkt.

Janat Mendoughe 9.2.2024